Auf der Behörde

26.02.2015 11:36
 
Früher war alles besser. War es das? Ich hörte kürzlich: Früher war einfach alles früher. Da ist was 'dran. Heute möchte ich mit Euch über das Warten in Behörden nachdenken. Die meisten treuen Leser können sich sicher an Zeiten erinnern, in denen man sich für einen Behördengang vorsorglich einen Tag Urlaub (oder krank) genommen hatte, morgens das dunkle, nach Bohnerwachs riechende Gebäude betrat, eine Wartenummer von einer Rolle vorgestanzter Zettelchen abriss, die verdächtig genau den Zetteln ähnelten, die man als Quittung an Theatergarderoben oder als Eintrittskarte in Jugendclubs erhielt. So dickes graues Papier mit einem diagonal verlaufenden roten Strich darüber. Ganz eindeutig weder fälschungs- noch manipulationssicher. Und dann saß man da - stundenlang. Aber das System war einfach: wenn die schlecht gelaunte Sachbearbeiterin "347!" in den Raum brüllte und man hatte 1287, dann konnte man in Ruhe das Buch zu Ende lesen. Manche hatten sogar Stullen dabei (für die Süddeutschen: eine Brotzeit). Niemand hingegen schleppte damals 1,5-Liter-Wasserflaschen durch die Gegend, um der heute offenbar überall lauernden Spontan-Dehydrierung zu entgehen.
 
In diesen modernen Zeiten nun werden Termine online vergeben. Im Viertelstundentakt. Man kann sich einen passenden Termin kurz vor Arbeitsbeginn aussuchen. Wer kein Internet hat, ist arm 'dran. Aber für diese armen Tropfe (Tröpfer?) gibt es in Potsdam das Zimmer 2.14 - da kann man sich wie gewohnt anstellen und ganz physisch anwesend einen Termin vereinbaren - selbstverständlich nicht für den gleichen Tag. 
Ich hatte für den Umtausch meines rosafarbenen DDR-Führerscheins in eine US-taugliche Chipkarte natürlich online terminiert und Aufrufnummer 512 erhalten. Bei Betreten des Warteraums ca. 15 Minuten vor der Zeit standen auf der Anzeigetafel:
Aufrufnummer 125 - Schalter 6
Aufrufnummer 517 - Schalter 1
Aufrufnummer 121 - Schalter 3
Da fragt sich die mathematisch begabte Behördengängerin ängstlich, ob sie jetzt doch schon drüber sei und wo die anderen 400 Antragsteller hin sind. Aber so ein irrationales Fünkchen Hoffnung lässt sie warten. Während der jetzt kommenden 25 Minuten bleibt die 517 in LED gemeißelt stehen, wohingegen sich die Hunderter fröhlich durch die Zahlenfolge plingeln, ohne dass sich einer der zusehens enervierten Mitwartenden angesprochen fühlt. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Karteileichen aufgerufen werden, damit die Mädels an den Schaltern erstmal in Ruhe ihren Morgenkaffee trinken können.
Eine Viertelstunde nach dem vereinbarten Termin endlich: 512 - Schalter 6. Ganz vorsichtig trete ich in das Zimmer von Schalter 1-6, quasi auf Zehenspitzen. Drei Schreibtische sind besetzt, alle anderen verwaist. Zwei Damen unterhalten sich angeregt über Fragen der Einschulung von ABC-Schützen, die Dritte hingegen entpuppt sich als eine außerordentlich nette, zuvorkommende, höfliche Beamtin, die alles Erforderliche in kürzester Zeit erledigt, kompetent Formulare selbständig am Computer ausfüllt, Quittungen ausstellt und Tipps gibt, wie man nach Ablauf der nun beginnenden Wartezeit am besten an das ersehnte Stück Plastik kommt. Ganz wundervoll. 
So ganz verkneifen kann ich mir dann beim Rausgehen die Bemerkung aber doch nicht, dass das System der Wartenummern nicht wirklich selbsterklärend sei. Ihre Antwort: manche Behördengänger tauchen einfach zum vereinbarten Termin nicht auf, und da die Anweisung laute, nach jedem Aufruf mindestens 5 min zu warten, bevor der nächste Aufruf starten kann, entstünden diese Leerzeiten. Und dann seien ja auch so viele Kollegen krank ...
 
Früher ... ja früher hätte ich mir einen Keks an den Hintern gefreut, wenn ich nach nur 15 Minuten Wartezeit alles im ersten Anlauf hätte erledigen (lassen) können und dabei noch angelächelt worden wäre. Also ich finde, manches ist heute wirklich besser, und vieles ist viel besser. Wenn auch immer noch nicht perfekt. Aber war mag schon Perfektion.